Exhibiton view, Balkan Visions, 2003
Ausstellungen

BALKAN VISIONS

6.9.2003—11.10.2003

Mariela Gemisheva, Ivana Keser, Tanja Ostojic, Tome Adzievski, Erzen Shkololli, Anri Sala, Kristina Leko, Solomon Alexandru, Andrei Ujica, Athanasia Kyriakakos
kuratiert von Eda Cufer

Was ist der Balkan? Wo ist der Balkan? Gibt es den Balkan wirklich? Der Balkan existiert, darüber gibt es keinen Zweifel; aber durch die negativen Assoziationen, die dieses Wort hervorruft, und den völligen Mangel an politischer und kultureller Einheit, wird diese Region eher mit einer Mentalität oder einer kulturellen Gegebenheit als mit einem Ort auf der Landkarte identifiziert. Die geographischen, linguistischen und ethnischen Grenzen des Balkans waren immer Grund für Streitigkeiten; die Unklarheit und der Widerstand bei ihrer Festlegung sind in der Tat eines der Merkmale dieses Gebietes. In gewisser Hinsicht ist der Balkan besser definiert als Mitteleuropa. Sein geopolitisches Schicksal ist quasi komplementär zu jenem Mitteleuropas, d.h., beide sind Teil eines nicht genau festgelegten oder begrenzten geopolitischen Raums, der aus zahlreichen kleinen Sprachgruppen, Nationen und Randstaaten, sowie größeren Sprachgruppen und Völkern zwischen West und Ost, Christen und Moslems, lateinischer und arabischer Welt besteht.

Jeder von uns hat eine vage Vorstellung vom „Balkan“. Es genügen auch nur einige Begriffe: ein Ort ethnischer Spannungen, ein Ort, an dem sich alte Dramen ständig wiederholen, ein Ort, dessen Einwohner es über die Grenzen hinaus mit gefährlichen Feinden zu tun haben, ein Ort voller Probleme, die nicht gelöst werden wollen. Eine Mischung aus schrecklichen und exotischen Merkmalen verfolgt den Balkan vom Mittelalter bis zur Moderne und Postmoderne, und hat Stereotype geschaffen, die auf einer grundlegenden Vieldeutigkeit basieren, die sowohl positive und romantische, aber gleichzeitig auch negative und barbarische Aspekte beinhalten. So wie der Vampir, ein ewiges, aus dem Balkan stammendes Wesen, immer blutrünstig und todesgierig, ein Symbol des Bösen, das viele Schriftsteller und Regisseure inspiriert hat. Ein Protagonist äußert spannender Erzählungen, in denen diesem Wesen allgemeingültige Bedeutungen und Charakteristika übergestülpt wurden.

Wer den Balkan erforscht und darstellt, begreift, dass es sich um ein komplexes Thema handelt, das nicht nur reich an Kreativität ist, sondern auch voller historischer Widersprüche und kultureller Vorurteile, letzthin in aller Welt verrufen durch den tragischen Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Und gerade diese explosive Mischung aus Realität und Vorstellungen hat wiederum den Nährboden dafür geschaffen, dem Balkan eine neue Faszination zu verleihen. Vor allem in Westeueropa und insbesondere im deutschen Sprachraum wurden dem Balkan in den letzten beiden Jahren zahlreiche kulturelle Veranstaltungen gewidmet.

Die Ausstellung BALKAN VISION, die am 5. September 2003 in der Galerie Museum Arge-Kunst in Bozen eröffnet wird, gibt mit ausgesuchten Werken von zehn KünstlerInnen und FilmemacherInnen aus den unterschiedlichen Ländern Einblick in die Geheimnisse und Phänomene des heutigen Balkans.
ATHANASIA KYRIAKAOS lädt am Eröffnungsabend zu einer „//Coffee performance“ ein: sie serviert den Besuchern „türkischen“ oder „griechischen“ Kaffee und liest allen, die daran interessiert sind, nach den Regeln einer uralten, balkanischen Kunst, aus dem Kaffeesatz ihre Zukunft und deren Geheimnisse. Die bulgarische Schauspielerin und Stilistin MARIELLA GEMISHEVA begleitet die Besucher in ihre Vision von Mode und Femininität: ein Stil, der anders ist als alles, was man in den Modeschauen Italiens bis jetzt zu sehen bekam. Die Kroatin IVANA KESER beweist mit ihrer Arbeit eine mutige und kritische Sicht in Bezug auf die Relativität der Grenzen zwischen den sogenannten „zivilisierten“ und „barbarischen“ Gesellschaften. Die Serbin TANJA OSTOJIC dokumentiert in einem Fotozyklus ihre radikale und provokative Arbeit „Looking for a husband with EU Passport“ (Auf der Suche nach einem Ehemann mit europäischen Pass). Der Mazedonier //TOME ADIJEVSKI beschäftigt sich auf kritische Art und Weise mit den europäischen Hilfseinsätzen während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien. Das Video von ANDREI UJICA gibt Zeugnis zum Fall des Regimes von Nicolae Ceaucescu in Rumänien. Der Film von //ANRI SALA, „Intervisa“, zeigt den emotionsreichen und äußerst persönlichen Versuch dieses jungen albanischen Künstlers, einen Zugang zu finden zur politischen Einstellung seiner Mutter unter der Diktatur von Enver Hoxha in Albanien. Der Film von KRISTINA LEKO „Sarajevo International“ erzählt die Geschichte von Personen aus unterschiedlichen Ländern, die aus verschiedenen Gründen beschlossen, sich in Sarajevo niederzulassen, und zwar während und nach der Zeit des Krieges, einem der blutigsten Massaker des 20. Jahrhunderts. Ist New York traurigerweise wegen seiner Obdachlosen bekannt, steht Bukarest für seine streunenden Hunde, deren Leben den Mittelpunkt des ergreifenden Films „Dog’s Life“ (Hundeleben) des rumänischen Filmvorführers und Regisseurs ALEXANDRU SOLOMON bildet. Das Video //“Hey You“ des Künstlers ERZEN SHKOLOLLI aus dem Kosovo erzählt anhand des Gesanges einer einheimischen Liedermacherin die berührende Geschichte der Emigration seines Volkes. Alle diese BALKAN VISIONS ergeben ein Puzzle, das die Besucher einlädt, den Balkan nicht als Welt für sich anzusehen, sondern als Spiegel der Menschheit, als Quelle von Archetypen und Symbolen, die in der Vergangenheit und auch heute noch Städte, Kriege, Experimente, Ideen und Visionen, unabhängig von Grenzen und Nationalitäten, geschaffen haben und entstehen lassen. (Eda Cufer)