BLACK ATLANTIC
Nanna Debois Buhl, Kiluanji Kia Henda, Maryam Jafri, Hank Willis Thomas
kuratiert von Luigi Fassi
Ausgangspunkt der Ausstellung ist der Atlantische Ozean in seiner räumlichen Dimension, als Ort der Begegnung zahlreicher Kulturen und Völker im Verlauf der letzten drei Jahrhunderte. Mit Bezug auf die Formulierung Black Atlantic, die auf den englischen Theoretiker Paul Gilroy zurückgeht, setzt sich das Projekt mit der Vielfalt und den Verstrickungen europäischer, amerikanischer und afrikanischer Identitäten auseinander. Dazu werden vier Künstler und Künstlerinnen aus den drei am Atlantik liegenden Kontinenten vorgestellt, deren Arbeiten sich mit jenen historischen Ereignissen und Erinnerungen befassen, die in Zusammenhang mit der Geschichte des Kolonialismus und mit dessen Erbe in Form der heutigen rassenpolitischen Auseinandersetzungen stehen. Die zentralen Themenkreise der Künstler sind: die Geburt der europäischen Nationalstaaten, das Erbe der Sklaverei in den Vereinigten Staaten von Amerika und die komplexen postkolonialen Gegebenheiten im heutigen Afrika. Stimmen und Erinnerungen sowie persönliche, aber auch kollektive Aufzeichnungen und Gestaltungen bezeichnen den labyrinthischen Verlauf der Ausstellung, die zu einer Reflexion über die Natur der individuellen Freiheit und der politischen Emanzipation in unserer heutigen Welt anregt.
Im Hintergrund bleibt stets das Bild des Atlantischen Ozeans bestehen: als symbolischer und realer Ort des Kreislaufs der Kulturen, als Ort der Unterdrückung und der Freiheit, sowie als Lebensraum, welcher die Neuzeitliche Geschichte der am Atlantik gelegenen Kontinente unauslöschlich geprägt hat.
Kiluanji Kia Henda (*1979 Angola; lebt und arbeitet in Luanda)
Der Künstler konzentriert sich in seiner künstlerischen Recherche auf sein Heimatland Angola, in welchem seit 1975 – als das Land die Unabhängigkeit von Portugal erlangte – ein grausamer Bürgerkrieg tobt. Die Hauptprotagonisten in diesem Krieg waren die beiden wichtigsten politischen Stömungen des Landes, die wiederum als Stellvertreter der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion agierten. Die beiden Supermächte wollten sich auf diese Weise die geopolitische Kontrolle des Landes und seiner Ölreserven sichern. Bis 1979 wurde Angola von Agostinho Neto regiert, einem intellektuellen marxistischen Präsidenten, welcher Revolutionär und gleichsam Poet war. Doch nach ihm entwickelte sich Angola in einem endlosen Bürgerkrieg zu einem völlig wehrlosen Land, welches zwischen den beiden Supermächten des Kalten Krieges aufgerieben wurde. Der Preis, den das Land für diese neue Version kolonialer Gewalt in Form von Menschenleben und allgemeiner Zerstörung zahlen musste, war immens. Karl Marx, Luanda (2006) ist ein fotografisches Triptychon. Es zeigt das Wrack eines gigantischen sowjetischen Fischereischiffes, das ein Geschenk der UdSSR an Angola war, heute jedoch verlassen am atlantischen Strand vor der Hauptstadt Luanda liegt. Als Relikt und gleichsam Sinnbild einer jahrzehntelangen politischen Zusammenarbeit zwischen Angola und der Sowjetunion, zeugt es von den einstigen Handelsbeziehungen zwischen diesen beiden Ländern. In den Bildern Kiluanji Kia Hendas konzentrieren sich auf emblematische Weise Themen wie ideologische Gewalt, atlantischer Kolonialismus, Kalter Krieg, Marxismus und Unabhängigkeit. Sie erscheinen im Spannungsfeld von Vergangenheit und Gegenwart, als Vektoren einer unmöglichen Zukunft, die dem Land Angola selbst heute noch verwehrt zu sein scheint.
Maryam Jafri (*1972, Karachi, Pakistan; lebt und arbeitet in Kopenhagen und New York, US)
Die Arbeit Independence Day 1936-1967 besteht aus einer Fotoserie anlässlich der Feierlichkeiten zum jeweils ersten Unabhängigkeitstag einer Vielzahl von asiatischen und afrikanischen Ländern, darunter Indonesien, Ghana, Senegal, Pakistan, Syrien, Libanon, Kenia, Tansania, Mosambik und Algerien. Der Unabhängigkeitstag erscheint in diesen Aufnahmen wie eine formelle Zeremonie, eine Kodifizierung von Ritualen und diplomatischen Diskursen an öffentlichen Plätzen und privaten Räumen. Das gesamte offizielle Protokoll, von der Vereidigung der neuen Regierung und der Unterzeichnung der Dokumente bis hin zum Pomp und Salut der Paraden, wird von der sich zurückziehenden Kolonialmacht orchestriert und geleitet. Aus diesem Grund sind die fotografischen Materialien, welche die Künstlerin in Archiven rund um den gesamten Globus gesammelt hat (und welche dreißig Jahre Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts abdecken) trotz der geografischen und historischen Unterschiede untereinander erstaunlich ähnlich. Sie bezeugen das Fortwähren des europäischen Kolonialmodells selbst noch im Moment seiner offiziellen Beendigung. Jafris Arbeit ist auf diese Weise ein verstecktes, indirektes Zeugnis der Schwierigkeiten, sich von der kolonialen Vergangenheit zu befreien. Gleichsam ist es jedoch retrospektiv betrachtet ein dunkles Präludium jener politischen und sozialen Tragödien, welche einen Großteil der postkolonialen Länder in der Folgezeit ihrer Unabhängigkeit zerstört haben.
Hank Willis Thomas (*1976, Plainfield, NJ; lebt und arbeitet in New York, US)
Die Geschichte des Sklavenhandels im atlantischen Raum, die Erinnerung an die Sklavenarbeit der schwarzen Bevölkerung auf den amerikanischen Plantagen und das allgegenwärtige Erbe des Kolonialismus und des Rassendiskurses in unserer heutigen Gesellschaft: Dies sind die thematischen Knotenpunkte, die sich durch das Werk von Hank Willis Thomas ziehen. So greift er in seiner Arbeit The Curious in Ecstasy The Day (2006) die Geschichte von Saartjie Baartman auf, einer jungen südafrikanischen Frau, die Anfang des 19. Jahrhunderts als Sklavin verschleppt und in England und Frankreich herumgereicht wurde, um dort als exotisches Ausstellungsobjekt für die neugierige Öffentlichkeit unter dem Namen “Hottentotten-Venus” einem bürgerlichen europäischen Publikum vorgeführt zu werden. Ihr Aussehen wurde als Symbol primitiver Schönheit interpretiert, welche dem Tierreich näher als dem Menschen zu stehen schien und dem europäischen Blick unverständlich erscheinen musste. Zu diesem Thema reproduzierte Hank Willis Thomas einen französischen Druck aus jener Zeit, wobei er jedoch das Bildnis von Saartjie Baartman, die gerade von einer Gruppe Neugieriger betrachtet wird, wegretuschierte und an ihre Stelle die Venus von Botticelli setzte, welche in Europa als kanonisches Ideal weiblicher Schönheit gilt. Auf diese Weise kehrt Hank Willis Thomas die Logik des weißen, europäischen Blickes um und enthüllt das rassistische Konstrukt dieses Ideals. The Day I Discovered I Was Colored (2006) reproduziert eine amerikanische Illustration aus den Sechziger Jahren. Darin leiht der Künstler seine Stimme jener Unzufriedenheit, die mit der Entdeckung beginnt, dass die eigene Identität als Andersartigkeit und rassische Unterlegenheit gesetzt wird. Afro-American Express (2008) besteht in der Reproduktion einer Grafik von drei weitverbreiteten Kreditkarten, deren offizielle Logos mit Abbildern von Sklavenhändlerschiffen ersetzt wurden. Mit diesen Schiffen wurden die Sklaven von der afrikanischen Westküste aus verschifft, um auf amerikanischen Plantagen zu arbeiten. Auf diese Weise wird der von internationalen Banken kontrollierte, immaterielle Kreislauf der finanziellen Mittel mit bitterer Ironie in Zusammenhang mit dem Kreislauf des Sklavenmarktes gebracht, der sich in den vergangenen Jahrhunderten entlang der Routen im Atlantischen Ozean abspielte.
Nanna Debois Buhl (*1975, Aarhus, Dänemark; lebt und arbeitet in New York, US)
Die Arbeit der dänischen Künstlerin Nanna Debois Buhl ist eine komplexe Untersuchung der kolonialen Erblast der dänischen Geschichte. Looking for Donkeys (2008-2009) dokumentiert, wie die Künstlerin eine Woche lang den wildlebenden Eseln auf der Insel St.John nachspürt. Die ehemalige Kolonie St.John befand sich – als Teil der Jungferninseln im Atlantischen Ozean – zwischen 1718 und 1917 im Besitz Dänemarks, danach wurde sie an die Vereinigten Staaten von Amerika abgetreten. Zusammen mit den schwarzen Sklaven, die an Afrikas Westküsten versammelt und per Schiff auf die Jungferninseln verfrachtet wurden, brachten die Dänen Anfang des 18. Jahrhunderts auch zahlreiche Esel nach St. John, die dort als Arbeitstiere für die schwere Arbeit auf den Plantagen eingesetzt wurden. Nach dem Ende der Kolonialzeit, Anfang des 20. Jahrhunderts, wurden sie in St. John zurückgelassen. Heute leben etwa 400 ihrer Nachfahren, die sich als wildlebende Tiere unkontrolliert vermehrt haben, auf der Insel. Das Video der Künstlerin handelt von ihrer Begegnung mit diesen Eseln von St. John – gleichsam Gespenster der kolonialen Vergangenheit des Landes. Es sind mysteriöse und scheue Wesen, kulturgeschichtliche Rätsel eines kollektiven Gedächtnisses, welches verdrängt wurde und noch darauf wartet endlich untersucht zu werden. Die Arbeit Incredible Creature (2009) stellt eine weitere Nachforschung der Künstlerin zur kolonialistischen Vergangenheit Dänemarks dar. Sie handelt von dänischen Händlern und Missionaren, die sich auf die Reise über den Atlantik machten, auf der Suche nach kolonialisierbaren Ländern und unerschöpflichen Reichtümern. Der dänische Kolonialismus als Teil der Geschichte des Atlantischen Sklavenhandels widerspiegelt sich heute noch in der Architektur des Landes. So stellen die Blumenmotive der Lagerhallen des Kopenhagener Hafens, die in das 18. Jahrhundert zurück datieren, zumeist typische Blumen der karibischen Flora dar.