INNOCENCE & VIOLENCE
Nadine Norman, Tany, Zilla Leutenegger, Maike Freess, Mathilde Ter Heijne
kuratiert von Sabine Gamper
Innocence & Violence – Unschuld und Gewalt, das sind die beiden Pole, zwischen denen sich die Darstellungen und Inhalte dieser Ausstellung bewegen. Fünf Künstlerinnen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und Kontexten geben uns Einblicke in ihre je eigene Vorstellung – und gleichzeitig auch in gesellschaftliche Konstruktionen – von Weiblichkeit am Beginn des 21. Jahrhunderts.
Die Ausstellung zeigt Bilder von Alltagskultur und zeitgenössischem Lifestyle junger Frauen, gibt Einblicke in unterschiedliche Lebensentwürfe, kreist um Weiblichkeits-Mythen und weibliche Strategien zur Realitätsbewältigung. Die Arbeiten beleuchten Intimitäten und Grausamkeiten, Phantasien von Unschuld und Gewalt, Selbstverliebtheit und Selbstzerstörung: ein Ausloten und Eruieren von Möglichkeiten und Grenzen im Umgang mit sich selbst und mit dem Anderen. Alle fünf Künstlerinnen stellen in ihren Video- und Fotoarbeiten, Zeichnungen und Performances ihren eigenen Körper und sich selber als Protagonistinnen dar, als ein Ganzes oder in ihrer Zerrissenheit, jedenfalls vor ihrem je eigenen kulturellen Hintergrund, und nicht ohne auf (Kunst)-Geschichte und ihre eigene Sozialisation zu verweisen. Gleichzeitig thematisieren sie ganz bewusst auch ihre Position als Frauen in einem männlich definierten Kunstmarkt. Das „Mysterium Frau“, Freuds „dunkler Kontinent“, wird hier von weiblicher Seite her beleuchtet. Und dies gibt ein vielschichtiges, spannendes Bild von der neuen zeitgenössischen Frau. Um Verdoppelung und Abspaltung von Teilen der eigenen Persönlichkeit geht es in der Video-Arbeit „Mathilde Mathilde…“ (2000) der Künstlerin Mathilde ter Heijne (Strassburg). Die Künstlerin setzt sich hier mit dem Thema des weiblichen Opfers auseinander, indem sie sich ein Double verschafft. Dieses verdoppelte Selbst wird in einer gewaltsamen Szene von einer Brücke in den reißenden Fluss geworfen. Die Künstlerin ermordet ihr eigenes Ebenbild, und wird damit Täterin und Opfer gleichzeitig.
In der Arbeit der kanadischen Künstlerin Nadine Norman ist die Darstellung des Weiblichen in seiner gesellschaftlich vermittelten Körperlichkeit, aber auch der Begriff des Begehrens und all seiner Widersprüche zentrales Thema. Es geht der Künstlerin vorwiegend um das Spannungsfeld zwischen Fiktion und Realität der unterschiedlichen Darstellungen und Rollen von Frauen in der Werbung, in anderen Kommunikationsmedien, aber auch im Kunstkontext.
Die japanische Künstlerin TANY verarbeitet in ihrem Video „Dedicated to my Ex Lover“ (2001) ihre beendete Liebesgeschichte mit einem Künstlerkollegen. Man sieht gewaltsame Szenen in einem dunklen Park, in dem die Künstlerin ihren Ex-Freund mit dem Mofa verfolgt und anschließend verprügelt. Die extreme Aggressivität der Darstellung im Video überrascht und überfordert den Betrachter, da die Künstlerin hier das Gewaltthema innerhalb des Geschlechterverhältnisses zwischen Mann und Frau korrumpiert.
Von den Selbstinszenierungen Cindy Shermans bis zu den popkulturell kodierten Portraitzeichnungen Elisabeth Peytons rufen Zilla Leuteneggers (Schweiz) Filme unterschiedlichste Referenzen auf. In ihren Videozeichnungen werden intime und private Wünsche und Befindlichkeiten der Künstlerinnen dargestellt und öffentlich gemacht. Doch es handelt sich keinesfalls um exhibitionistische Darstellungen, sondern eher um lyrische, unspektakuläre Selbstinszenierungen: die Künstlerin zeichnet und animiert ihr eigenes Abbild wie in einem Zeichentrickfilm, wodurch die Figur etwas sehr Intimes zurückbekommt, und daher als Identifikationsfläche funktioniert.
Die Deutsche Maike Freess beschäftigt sich in ihrer Arbeit ebenfalls mit dem weiblichen Körper und dessen Selbst- bzw. Fremdbild: die Arbeit „The river around me“ (2001), eine Videoprojektion, in der die Künstlerin in die Rolle der drei klassischen Frauentypen der „Blonden“, „Brünetten“ und „Rothaarigen“ schlüpft, wird frontal zum Betrachter auf eine durchscheinende Folie projiziert, sodass sich die drei Frauen im Blick des Betrachters spiegeln. In einer unaufhörlichen Aktion des sich ständigen An- bzw. Ausziehens pendeln die dargestellten Frauen zwischen Selbstbezogenheit und Flirt mit dem Betrachter. Bei allen Arbeiten steht niemals der weibliche Körper an sich im Mittelpunkt, sondern stets die Phantasien, die ihn umkreisen, und diese werden zum eigentlichen Thema. Das Selbstbildnis der Künstlerinnen wird uns zur Projektionsfläche für unsere eigenen Wünsche und Absurditäten, zur Spielwiese im Minenfeld zwischen Unschuld und Gewalt.