KATARINA ZDJELAR – MICHAEL HÖPFNER
kuratiert von Luigi Fassi
Katarina Zdjelar und Michael Höpfner untersuchen in ihren jeweiligen Arbeiten Modelle der Überlieferung und Mechanismen kollektiver Wahrnehmung innerhalb der westlichen Kultur. Diese künstlerischen Untersuchungen führen zu einer tiefgreifenden kritischen Analyse der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in der gegenwärtigen Welt.
In A Girl, the Sun and an Airplane Airplane (2007) bittet Zdjelar einige Bürger der albanischen Hauptstadt Tirana, in einem Aufnahmestudio ganz ungezwungen russisch zu sprechen. Ziel der Künstlerin ist es, im Sinne eines linguistischen Gedächtnisses sprachliche Restbestände aus der Zeit der Diktatur unter Enver Hoxha wieder hervorzukramen, als russisch noch die Sprache der Kultur und Politik in Albanien war. Die Arbeit Zdjelars ist ein Versuch, in den Tiefen des kollektiven Unbewussten zu graben, dieses zu erforschen und individuelle, linguistische Reminiszenzen zutage zu fördern, die einer vergangenen Epoche angehören. Während sich die älteren unter den Teilnehmern noch an zahlreiche Worte und Sätze erinnern, versuchen die jüngeren vergeblich, ihr linguistisches Gedächtnis abzurufen. Zwar scheint dieses Gedächtnis noch dunkel vorhanden zu sein, doch finden die Beteiligten aufgrund der spezifischen Chiffren dieser Sprache heute keinen Zugang mehr zu ihr. In A Girl, the Sun and an Airplane Airplane trifft das demokratische Albanien von heute auf die zersplitterten Erinnerungen aus der jüngeren Vergangenheit des Landes. Auf diese Weise gelingt es der Künstlerin, das Verhältnis zwischen der historischen Wirklichkeit und ihrer Aneignung auf privater wie individueller Ebene zu hinterfragen.
Everything is Gonna Be (2008) ist eine in Norwegen realisierte Videoarbeit. Im Mittelpunkt steht eine Gruppe von Menschen mittleren Alters. Sie sind allesamt im norwegischen Wohlfahrtsstaat aufgewachsen, der im Zuge der wirtschaftlich industriellen Entwicklung des Landes seit den 60er Jahren langsam aufgebaut wurde. Die Gruppe, ein Laienchor bestehend aus Freunden, singt auf Bitten der Künstlerin ein bekanntes Lied der Beatles, „Revolution“. Es ist ein Dialog zweier Menschen über die Zeit von 1968 und über ein immer noch ungelöstes Verhältnis zwischen Revolution und Gewalt, zwischen sozialem Wandel und politischem Extremismus. Der flüssige, aber fehlerhafte Gebrauch der englischen Sprache vonseiten der Interpreten wird im Rahmen der Arbeit der Künstlerin zur symbolischen Darstellung der Unzulänglichkeit der Sänger in Bezug auf den Inhalt dieses Liedes, zur Inszenierung einer Distanz zwischen den jugendlichen Ambitionen und den tatsächlichen biografischen Daten der Sänger. Everything is Gonna Be wird auf diese Weise zu einer Reflexion über die politische Idee des heutigen Europa und über das Potential der zivilisatorischen und kulturellen Rolle in der gegenwärtigen Welt der Bewohner.
Erosion, Identität, Gedächtnis und Verlust sind auch Schlüsselbegriffe der Arbeit von Michael Höpfner. Der österreichische Künstler hat im Lauf der letzten Jahre eine künstlerische Praxis des Gehens bzw. der geografischen und kulturellen Entfaltung entwickelt. Dabei durchwandert er zu Fuß Randgebiete und verlassene Landschaften verschiedener Kontinente. So ist Outpost of Progress (2005-2010) das Ergebnis einer achtwöchigen Wanderung von Höpfner über das Hochplateau des Chang Tang im westlichen Tibet – eine Region, die von etwa fünfzigtausend Menschen bewohnt ist, die nach alter Tradition ein nomadisches Leben führen. Als Gebiet, zu dem Touristen und Ausländer keinen freien Zugang haben, gehört es zu den unbekanntesten Gegenden der Erde. So erweist sich das Gebiet Chang Tang im Verlauf der künstlerischen Erkundung Höpfners als Ort zahlreicher architektonischer Zerstörungen und Umweltschäden. Weit entfernt von jeglichem Ideal einer unberührten Natur und einer sauberen Umwelt, erscheint die von Höpfner dokumentierte tibetische Region ganz im Gegenteil als Vorposten der Zerstörung des Planeten durch die industrialisierte Gesellschaft. Es ist das Schauspiel einer Auslöschung von Kulturen und Traditionen, die seit Jahrtausenden verankert sind. In Schutzhäusern, Grotten und kleinen Hütten trotzen die Einwohner Chang Tangs dem Vormarsch des globalen Fortschritts. Durch vielfältige Formen einer unsichtbaren nomadischen Lebensweise verteidigen sie ihre im Auflösen begriffene Kultur. Mit seinen fotografischen Aufzeichnungen, Diapositiven und notdürftigen Wohnmodulen, die sich an der unscheinbaren Bauweise der Region orientieren, wendet sich Outpost of Progress gegen die Idealisierung einer Harmonie und Homogenität, die wir für gewöhnlich mit den großen Naturgebieten verbinden. Vielmehr zeigt sie die Brutalität des Antagonismus, der zwischen Sesshaftigkeit und Nomadentum, zwischen Tradition und Entwicklung besteht.