Hydrocotyle vulgaris, Fort Vert, Calais. Photo: Hanna Rullmann.
ONE YEAR-LONG RESEARCH PROJECT

LORENZO PEZZANI
“HOSTILE ENVIRONMENT”(S)

8. November 2018 um 19:00

8. November 2018, 19 Uhr

One Year-Long Research Project / Fourth

Zur vierten Ausgabe des einjährigen Forschungsprojekts (2018-2019) hat ar/ge kunst den Architekten und Wissenschaftler Lorenzo Pezzani (Trient/London) zu einer Künstlerresidenz nach Bozen eingeladen. In seinem Eröffnungsgespräch wird Pezzani den Begriff der „feindlichen Umfelder“ als Thema seiner bevorstehenden Forschungarbeit in Südtirol erörtern.

Im Mai 2012 kündigte die damalige britische Innenministerin Theresa May in einem Interview die Einführung neuer Gesetze zur Einwanderungskontrolle an, die darauf abzielen würden, „hier in Großbritannien ein wirklich feindseliges Umfeld (hostile environment) für illegale Migration zu schaffen. […] Wir sind daran“, erklärte sie weiter, „illegalen Einwanderern den Zugang zu Arbeit, Wohnung und Dienstleistungen, sogar zu Bankkonten, zu verwehren“. Den städtischen Raum für einige lebenswidrig zu machen, ist ein Vorgang der sich auf globaler Ebene in der Art und Weise widerspiegelt, wie bestimmte Umfelder (Wüsten, Ozeane und Gebirgszüge, einschließlich der Alpen) als Waffe genutzt werden, um Migranten abzuschrecken und zu vertreiben, wobei oft deren Leben aufs Spiel gesetzt wird.

Ausgehend von seiner Arbeit zur Migration über das Mittelmeer untersucht Lorenzo Pezzani, wie diese Art der Grenzkontrolle nicht mehr darauf abzielt, bestimmte Personengruppen direkt zu erfassen und zu bestrafen, sondern vielmehr in das Umfeld eingreift, in dem diese sich aufhalten oder das sie durchqueren. Das Umfeld, im Sinne einer politisch-ökonomischen Wirkkraft und nicht nur eines „natürlichen“ Hintergrunds menschlichen Handelns, ist hier nicht mehr nur ein Ort der Macht, sondern bekommt vielmehr eine eigene Funktion. Das Wetter wird zu einer Waffe, wenn Migranten an Kälte oder Hitze sterben müssen und darüber hinaus sind Formen rassistisch motivierter Gewalt gewissermaßen so allgegenwärtig wie das Klima.

Wenn Migranten über besonders heimtückisches Terrain gezwungen und in den Städten einem Dauerzustand der Verlassenheit ausgesetzt werden, wirkt sich dieser atmosphärische Machtzustand auf verschiedene Arten des (menschlichen sowie auch „mehr als menschlichen“) Daseins aus, insbesondere auf diejenigen, die als fremd und nicht als einheimisch eingestuft werden.

Biographie
Lorenzo Pezzani ist Architekt und Wissenschaftler. Zur Zeit ist er Dozent für Forensische Architektur an der University of London, Goldsmiths. Seit 2011 arbeitet er an Forensic Oceanography, einem Gemeinschaftsprojekt, das die militarisierte Grenzordnung im Mittelmeer kritisch untersucht. Er ist Mitbegründer der Plattform WatchTheMed. Gemeinsam mit verschiedenen NGOs, Wissenschaftlern, Journalisten und Aktivistengruppen hat er Karten, Videos, Installationen und Menschenrechtsberichte erstellt, die die Todesfälle von Migranten auf See dokumentieren. Seine Arbeiten wurden als Beweismittel vor Gericht verwendet, in verschiedenen Presseorganen und akademischen Fachzeitschriften veröffentlicht und international in verschiedenen Institutionen und Biennalen ausgestellt.