Ausstellungen

MARIANNE FLOTRON – PILVI TAKALA

1.2.2013—23.3.2013

kuratiert von Luigi Fassi

Welchen Veränderungen ist die Arbeitswelt auf globalem Niveau ausgesetzt? Welches Verhältnis besteht zwischen den verbreiteten Flexibilitätsmodellen und der kreativen Arbeit? Hat die Aufweichung des Fordistischen Modells tatsächlich zu einer größeren Freiheit, Dynamik und zu menschlicheren Bedingungen geführt oder hat nur oberflächlich eine Veränderung der Methoden stattgefunden, um die gleichen Produktionsziele zu erreichen?

Solcherart lauten die Fragen der Ausstellung mit Werken zweier Künstlerinnen, die sich in explizit analytischer und tiefgreifender Weise damit auseinander setzen. Trotz der Verschiedenheit ihrer Herangehensweisen benutzen Marianne Flotron (Schweiz, 1970) und Pilvi Takala (Finnland, 1981) vergleichbare Analyseverfahren – zum Beispiel das Rollenspiel oder die Simulation von gefälschten Identitäten –, um ins Innere von geschlossenen Arbeitssystemen zu gelangen und deren Funktionsweisen zu analysieren. Ihren Untersuchungen zufolge stellt sich die abhängige Arbeit heute als ein fortschrittliches Labor gesellschaftlicher Planung, psychologischer Kontrolle und geistiger Unterwerfung dar, das darauf ausgerichtet ist, den Einzelnen immer mehr in Richtung eines angepassten Erfolgsinstruments zu verändern, und jeden Widerstand gegenüber dem System, dessen Teil er ist, zu verhindern.

Fired (2007) ist von Flotron während eines Workshops in einer holländischen Firma realisiert worden, in dem den Managern die rhetorischen und psychologischen Techniken beigebracht wurden, wie Entlassungen an Angestellten durchzuführen sind. In Form eines Rollenspiels inszeniert eine Trainerin ein Gespräch mit einem der Manager und übernimmt dabei die Rolle der Angestellten, die eingeladen wurde, um die Mitteilung der Entlassung zu erhalten. Das Wort „Entlassung“ wird im Verlauf des Gesprächs kein einziges Mal erwähnt und entspricht damit der üblichen Praxis, bewusst jeden allzu eindeutigen Begriff zu vermeiden und stattdessen die Situation abzuschwächen, um damit nicht nur der emotionalen Aggressivität des Angestellten vorzubauen, sondern ihn sogar von der Unvermeidbarkeit der betrieblichen Entscheidung zu überzeugen.

Work (2011) ist das Ergebnis eines längerfristigen Experiments, das Flotron im Umfeld einer großen privaten Versicherungsgesellschaft in Amsterdam durchgeführt hat. Als Teil einer großen Unternehmensgruppe gilt diese Firma als ein Paradebeispiel für das Angebot kreativer Arbeitsverhältnisse und bietet seinen Angestellten neben angemessenen Gehältern und Gewinnbeteiligung auch eine große Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung, was auch bedeutet, dass diesen betreffend die Benützung des Firmengebäudes große Freiheit eingeräumt wird, sofern die Ziele der Produktivität gewahrt bleiben. In Form eines einwöchigen Workshops mit den Angestellten der Firma, zeigt dieses Videowerk, wie das heutige, auf Kreativität, Flexibilität, gleitende Arbeitszeit und emotionale und persönliche Identifikation mit der Arbeit aufgebaute Firmenmodell im Grunde auf einer antidemokratischen und zugespitzt hierarchischen Logik basiert, die darauf abzielt, den Angestellten zu einem sich freiwillig dem Konsens und der intellektuellen Passivität gegenüber der Firma unterwerfenden Spielball zu machen.

Für The Trainee (2008) hat Pilvi Takala ein einmonatiges Praktikum bei der finnischen Niederlassung von Deloitte, einer großen multinationalen Beratungsfirma absolviert. Während dieses Monats hat die Künstlerin unter einem Decknamen (nur ein kleiner Kreis Eingeweihter war über ihr Projekt informiert) ganze Tage damit zugebracht, an ihrem Schreibtisch zu sitzen und Löcher in die Luft zu starren und ihr Verhalten auf Nachfrage als brain work zu rechtfertigen. Takalas Verhalten wirkt wie ein Virus, der auf provozierende Weise die Logik der betrieblichen Produktivität von innen heraus zersetzt, um schließlich sogar den eigentlichen Zweck des Ganzen, die Ziele des Firmenprofits, in Zweifel zu ziehen. Das als brain work deklarierte Nichtstun erscheint den Angestellten von Deloitte wie eine Bedrohung ihrer Berufsidentität, die innerhalb des von ihnen praktizierten Gehorsamkeits- und Identifikationskults mit dem Betrieb wie eine offene Wunde klafft. Takalas Kritik erwächst daraus die Qualität eines bewussten nihilistischen Aktivismus, in dem ausgerechnet das Nichtstun, die absolute Inaktivität, zur radikalst möglichen Geste avanciert, zum Zeichen einer grundlegenden Sinnlosigkeit, und damit zur absoluten Antithese zur neuen Ideologie der Betriebsarbeit.

Mit freundlicher Unterstützung von:
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