PASCAL SCHWAIGHOFER – MISHA STROJ
Das Projekt von Misha Stroj (1974, lebt und arbeitet in Wien) und Pascal Schwaighofer (1976, lebt und arbeitet in Mendrisio und Rotterdam) in der ar/ge kunst ist jeweils ihre erste Ausstellung in Italien.
Die Arbeit von Misha Stroj beginnt mit historischen Recherchen und Sozialstudien über den jeweiligen Ausstellungsort. In seinen Werken setzt er sich vorwiegend mit ökonomischen Verhältnissen und materiellen Gegebenheiten auseinander, die in unserer Gesellschaft und in unserer Kulturindustrie am Werk sind; so stellt er schlussendlich auf indirekte Weise die Mechanismen und Wirkmächte des Kunstsystems selbst in Frage. So lassen die gezeigten Werke einen Werdegang erkennen, der in Form einer paradoxen, sehr persönlichen Erzählung inszeniert wird – wobei die Lebenserfahrungen des Künstlers auf verzerrte Weise in den Mittelpunkt der Ausstellung rücken. Diese autobiografischen Elemente werden im Licht der europäischen Wirtschaftsgeschichte, aber auch in Bezug zur italienischen Literatur des Neunzehnten Jahrhunderts neu interpretiert.
Die Säule mit dem Knie (2010) ist eine Arbeit, die einen Abdruck vom Knie des Künstlers in Form einer Skulptur mit einer Stahlsäule in Lebensgröße vereint, wobei die Säule aus einem aufgelassenen Berliner Industriegebäude stammt. Es handelt sich um ein ironisches Selbstportrait des Künstlers in Zeiten der Krise der Industrieproduktion in Europa. Die Skulptur ist eine antithetische Vereinigung zweier Materialien, die gemeinhin nicht zusammengehören, sodass der Gipsabdruck, der einen Teil des menschlichen Körpers darstellt, nunmehr auch der Stahlsäule eine quasi-anthropomorphe Gestalt verleiht. Auf diese Weise ruft die Arbeit ganz nebenbei die große industrielle Tradition des 19. Jahrhunderts ins Gedächtnis. Auf derselben Schiene einer verzerrt dargestellten Autobiographie bewegt sich auch die Arbeit Index Broken (2000-2011), die einen Abdruck der Hand des Künstlers zeigt, wobei der Zeigefinger abgebrochen ist. So erscheint Index Broken – mit Referenz auf die Beziehung zwischen persönlicher Identität und Außenwelt, zwischen Selbstgewissheit und Alterität – wie der Versuch einer visuellen Kommunikation, die auf halbem Weg durch unbekannte, aber unwiderrufliche Gründe unterbrochen wurde. Andere Interventionen des Künstlers, die im Rahmen der Ausstellung gezeigt werden, stehen ganz im Zeichen einer idealen Referenz zu Luciano Bianciardis „La vita agra“ [Das saure Leben]. Publiziert im Jahr 1962, war dieses Werk imstande, das italienische Wirtschaftswunder der 1960er Jahre und dessen Auswirkungen auf die italienische Bevölkerung vorherzusehen. Die Gesellschaft wurde in jener Zeit zu einer Konsumgesellschaft, auch in kulturellen Belangen kam es zu einem Paradigmenwechsel und zu neuen Arbeitsrhythmen. Darum verwendet Stroj Bianciardis Werk für seine eigene Analyse. Welcher Bezug herrscht heute in Europa zwischen kreativer Freiheit und Kulturindustrie? Und welchen Handlungsspielraum haben die Künstler heute? Stroj verfolgt hier die Spur der visionären Reflexionen Bianciardis und tritt in seinen Arbeiten, Kollagen, Photographien und Zitaten in einen Dialog mit dem italienischen Schriftsteller. Damit versucht er, sich der existentiellen Einbahn zu entziehen, mit der das Schicksal der Romanfigur endet.
Pascal Schwaighofer verbreitet eine unaufhaltsame Entropie innerhalb der von ihm geschaffenen Formen. Es sind Objektkonstellationen voller Bezüge auf Geografie, Naturgeschichte, Archäologie und orientalische Kulturen. Ausgangspunkt seines Schaffens ist der dialektische Bezug zwischen geschlossener Form und Unbestimmtheit, zwischen Kanon und Regelüberschreitung. Schwaighofers Projekt für die Ausstellung in der arge kunst besteht aus zwei unabhängigen Arbeiten, die in Beziehung zueinander gesetzt werden. Beiden gemeinsam sind die Bezüge zur orientalischen Kultur und eine analytische Reflexion zum Druckverfahren als Technik der Reproduktion, aber auch des Vertriebs. In der ersten Arbeit, Atlas (Theatrum Orbis Terrarum) (2009-10), hat Schwaighofer geographische Karten aus aller Welt und verschiedensten Epochen gesammelt und sie einem Mutationsprozess unterworfen, hierfür wendete er die alte japanische Technik des Suminagashi an. Das Monoprint einer farbigen Oberfläche auf die Oberflächen geographischer Karten stellt einen neuen Interpretationscode dar, es verzerrt die Repräsentationsmacht des kartographischen Kanons. Festgelegte geopolitische Formen brechen auf zu neuen imaginären, unvorhersehbaren Dimensionen. Es handelt sich um eine konzentrische Ausdehnung, wo der Kanon der kartographischen Vernunft zerfällt, während dieser Zerfallsprozess unter den Augen des Betrachters stattfindet, gezeichnet durch gewundene Linien mit Tinte in Suminagashi-Technik.
¿Qué horas son en el Japon? (2011) ist eine Arbeit Schwaighofers, die sich japanische Hokusai-Drucke aus dem 18. Jahrhundert aneignet. Darauf sind die Wellen des Ozeans sowie mehrere Personen abgebildet, die mit alltäglichen Ritualen beschäftigt sind. Diese Bilder werden vom Künstler reproduziert, er wendet dabei die Technik der Fotoemulsion an und projiziert die Fotos durch eine spezielle Camera obscura auf die Wände der ar/ge kunst. Auf diese Weise scheinen sie mit dem Wandverputz zu verschmelzen. Die traditionellen Ikonographien werden durch einen vielschichtigen Übergang, der über formal technische Anwendungen wie Fotografie, Fotoemulsion, Wandprojektion und Übertragungen funktioniert, zu neuem Leben erweckt. Auf diese Weise erfahren die Bilder zusätzliche Resonanzen und Stratifizierungen, bis hin zu einem Zustand potentieller Unveränderbarkeit innerhalb des Ausstellungsraumes selbst.