PROLOGUE – PART ONE: REFERENCES, PAPERCLIPS AND THE CHA CHA CHA
Stephen Willats, Curandi Katz, Gareth Kennedy, Hope Tucker, Lorenzo Sandoval & S.T.I.F.F.
kuratiert von Emanuele Guidi
Prologue Prologue ist das erste Ausstellungsprojekt des Künstlerischen Leiters Emanuele Guidi in der ar/ge Kunst Galerie Museum. Prologue versteht sich als vorwegnehmendes und vorbereitendes Moment für die zukünftigen Aktivitäten der Galerie Museum. Prologue ist ein Beginn in zwei Teilen, darauf ausgerichtet, die Kontinuität zur Geschichte von ar/ge Kunst zu wahren und dabei nach neuen Erzählweisen zu suchen. Die aus Schlüsselwörtern, Begriffen und Titeln von Ausstellungsobjekten zusammengesetzten Titel Part One: References, Paperclips and the Cha Cha Cha und Part Two: La Mia Scuola di Architettura beschreiben den Zusammenhang jener Quellen, Themen, Kunstpraktiken und Erzählweisen, die im Mittelpunkt der kommenden künstlerischen Auseinandersetzung von ar/ge kunst stehen werden. Dementsprechend sind die beiden Teile eine Antwort auf das Bedürfnis, zur Unterstützung der Ausstellungsprojekte und diskursiven Programme, die gemäß unterschiedlicher zeitlicher und strategischer Kriterien zu entwickeln sein werden, mit dem progressiven Aufbau eines konzeptuellen und räumlich verankerten frameworks zu beginnen.
Part One: References, Paperclips and the Cha Cha Cha Stephen Willats, Curandi Katz, Gareth Kennedy, Hope Tucker, Lorenzo Sandoval & S.T.I.F.F. 1982 veröffentlicht der Künstler Stephen Willats das Buch Cha Cha Cha (Coracle/Lisson, London). Es erzählt die Geschichte des Cha Cha Clubs, eines der legendärsten Clubs der Londoner Post-Punk-Szene, und ist das Ergebnis einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen Willats und den Begründern des Clubs, Michael und Scarlett. Bilder von Orten und Objekten ihres Alltagslebens stehen nächtlichen Porträtaufnahmen und Auszügen von Interviews mit den Mitgliedern des Clubs gegenüber und machen deutlich, inwiefern diese selbstverwaltete „Kapsel“ für sie eine Möglichkeit des Widerstands, eine Neuerfindung der „normalen“ Gesellschaft oder eine Flucht aus ihr darstellt. In der Zeit eines Englands der konservativ-liberalen Politik von Margaret Thatcher und eines Londons mit enormen sozialen Spannungen und Unruhen beschreibt Willats die Entscheidung einen Club zu gründen als eine Handlung, in der „Money is definitely not the prime motive, much more important is providing a context for the group to become a community and for the manifestation of something very extreme through creative forms of self-identity, clothing, make-up hairstyles, etc…” Speziell der Cha Cha Club „captured the spirit of this new generation’s attitude perhaps more than any other, where everything was possible if your attitude was right”. Das workbook Cha Cha Cha wird in den Räumen von ar/ge kunst – im Dialog mit der Audio-Installation Inside the Night (1982) – in Form eines Displays präsentiert, als eine Reflexion über den Begriff der selbstverwalteten Gemeinschaft, den Willats im Laufe seiner Arbeit entwickelt hat, und den möglichen Formen von Austausch, Zusammenarbeit und Repräsentation, die mit diesem einhergehen können. Außerdem steht Cha Cha Cha, das begleitend zur Veröffentlichung des bekannteren Werkes Are you good enough for the Cha Cha Cha? erschienen ist, für eine Haltung, die das Künstlerbuch bzw. allgemeiner die verlegerische Tätigkeit als eine autonome und gleichwertige Ausdrucksform anerkennt. Und schließlich ist die von Willats bereits in den 60er Jahren formulierte Definition des Kunstwerks als „model of human relationships”, „open-ended process” und „learning system” die als „its own institution and as such is independent of art institutions” agieren kann, gerade für eine Institution zeitgenössischer Kunst wie ar/ge kunst ein ergiebiges Moment der Auseinandersetzung und Überprüfung. Mit Interventionen und Arbeiten, die speziell für dieses erste Projekt konzipiert oder an dieses angepasst wurden, erweitern und verdichten Lorenzo Sandoval & S.T.I.F.F, Hope Tucker, Curandi Katz und Gareth Kennedy das gegebene Szenario. Mutant Matters (2013), das aus einer Zusammenarbeit des Künstlers und Kurators Lorenzo Sandoval mit dem deutschen Architektenkollektiv S.T.I.F.F entstanden ist, ist eine flexible und anpassbare Struktur, dessen Grund-Modul ein Stuhl ist, aus dem ein Bücherregal, ein Archiv, eine Wand, eine Serie von Sitzgelegenheiten oder ganz generell Trägerflächen für andere Werke geschaffen werden können. Das erste Set-up von Mutant Matters wird ein Bücherregal mit thematisch ausgewählten Beständen aus dem Archiv ar/ge kunst sein, zu dem das Publikum somit zum ersten Mal Zugang erhält. Anschließend wird die Struktur zu einem integrierenden Teil der Architektur von ar/ge kunst und kann in Absprache mit Sandoval und S.T.I.F.F. anlässlich anderer Präsentationen und Projekte neu zum Einsatz kommen. Das Duo Curandi Katz (Valentina Curandi und Nathaniel Katz) präsentiert in diesem Zusammenhang eine gedruckte und gebundene Ausgabe von achtundzwanzig Übersetzungen des Buches From Dictatorship to Democracy von Gene Sharp, die darüber hinaus kostenlos von der web page herunter geladen werden können (Die pazifistische Bibliothek Aktion #5: Ausbreitung 2013). Seit zwanzig Jahren gilt der amerikanische Intellektuelle für Dissidenten aus aller Welt, von Burma über Ex Jugoslawien bis nach Ägypten, wegen seiner Untersuchung und Veröffentlichung von Praktiken des Widerstands und von Gewaltfreiheit als einer der wichtigsten Bezugspunkte. In früheren Jahren hat Sharp des öfteren betont, dass er von der geheimen Presse beeinflusst worden sei, die während der Besatzung der Nazis von norwegischen Lehrern an den Schulen produziert und verteilt worden ist. Speziell die Möglichkeit, durch „Schmuggel“ die Rolle einer Institution neu zu erfinden, hat Curandi Katz dazu inspiriert, innerhalb von ar/ge kunst eine selbstverwaltete Editionsstätte zu eröffnen. Das Publikum ist eingeladen, sich das in der Bücherei bereit gestellte Material aus dem Archiv anzueignen, mit der Auflage, dass es auf die Rückseite der Seiten von From Democracy to Dictatorship fotokopiert und anschließend gebunden werden muss. Auch die amerikanische Filmemacherin Hope Tucker teilt das Interesse an der Arbeit von Gene Sharp und erzählt in ihrem Video Vi holder sammen (We Hold Together 2011) ebenfalls eine norwegische Widerstandsgeschichte. Die von Johan Vaaler Ende des 19. Jahrhunderts erfundene Heftklammer wurde zwar wegen seines nicht wettbewerbsfähigen Designs niemals industriell produziert, erfuhr aber eine Wiedergeburt indem sie, unsichtbar für die Augen der Besatzer, als Symbol der Einheit und der Verbundenheit getragen wurde. Um über eine kollektive Geste zu berichten, die die Funktion und die Bedeutung eines bereits nutzlos gewordenen Gegenstands veränderte und ihn dem norwegischen imaginären Volksgut eingeschrieben hat, verändert Tucker die Heftklammer zu einem typografischen Zeichen. Eingeladen ist auch der irische Künstler Gareth Kennedy mit einer Präsentation und einem book launch am 24. September. Der Vortrag wird eine Einführung zu seinem Konzept von Folk Fiction und Erfindung der Tradition sein und ist als der Beginn eines einjährigen Projektes gedacht. Im Verlauf des Jahres 2014 wird Kennedy demnach für eine Reihe kürzerer Forschungsaufenthalte nach Bozen zurückkehren und eine regelrechte Forschungskommission begründen. Mit der von Anfang an gegebenen Öffentlichkeit des Projekts ist nicht nur dessen zeitlich umfassende Kommunikation und Dokumentation beabsichtigt, sondern auch die Möglichkeit einer Zusammenkunft, bei der die Quellen, Bezugspunkte und Interessen ausgetauscht und dadurch unmittelbar auf die Forschungsergebnisse eingewirkt und diese beeinflusst werden können. Mit freundlicher Unterstützung von: Autonome Provinz Bozen, Südtirol, Deutsche Kultur Stadt Bozen, Amt für Kultur Stiftung Südtiroler Sparkasse