Exhibiton view, go climb the mountains, I tell you, and eat strawberries, 2006
Ausstellungen

STEIG AUF DIE GEBIRGE, SAG ICH DIR, UN ISS ERDBEEREN

16.9.2006—18.10.2006

Monica Bonvicini, Sam Durant, Thomas Eggerer, Matthias Herrmann, Cameron Jamie, Justine Kurland, Kalin Lindena, Hans Schabus, Lois & Franziska Weinberger
kuratiert von Eva Maria Stadler Thomas Trummer

Steig auf die Gebirge, sag ich Dir, und iß Erdbeeren.
Sigmund Freud schreibt diesen Satz 1873, als Siebzehnjähriger an seinen Schulfreund
Eduard Silberstein. Das Gebirge steht für die Einöde, die Wüste, die unzivilisierte Welt jenseits urbaner Unübersichtlichkeit, in dem sich das Ich finden kann. Sigmund Freud rät seinem Freund sich loszusagen von den Zumutungen des Alltäglichen, des Zwischenmenschlichen. Noch bevor er seine Psychologie der Kunst entwickelt, sieht er die unzivilisierte Welt fern urbaner Unübersichtlichkeit und Versuchung als Möglichkeit der Selbstfindung.

Die Ausstellung in der Galerie Museum in Bozen, die aus Anlass des 150. Geburtstags von Sigmund Freud und in Zusammenarbeit mit dem Fotohof Salzburg zusammengestellt wurde, setzt sich mit dem Modell der Sublimierung als Triebkraft für künstlerischen Ausdruck auseinander und erörtert die Probleme von Ersatz, Projektion und Imagination in Bezug auf die zeitgenössische Kunst. Der Ratschlag des jugendlichen Freud, sowohl Askese als auch Genuss zu suchen, ist Ausgangspunkt für die Auswahl von internationalen Positionen zeitgenössischer Kunst. Die künstlerischen Arbeiten, die zum Teil für diese Ausstellung in Auftrag gegeben wurden, thematisieren Unwägbarkeiten, Sehnsüchte und Konflikte als Motive für ein Leben, welches Bilder entwirft, um sich in Bildern zu finden. Die Erdbeere, im Mittelalter Symbol für das vergossene Blut Christi und der Märtyrer, nehmen wir heute anders wahr. Sie steht für Weltlust, Rausch und erotisches Begehren.

Die Sinnlichkeit ist es wohl auch, auf die Freud in seinem Rat Bezug nimmt, sodass er zugleich Einkehr und Genuss empfiehlt. Der Genuss von Erdbeeren im Gebirge soll helfen, Enttäuschungen zu überwinden, oder steht für Kräfte, die es wieder zu erlangen gilt, – ist Ersatz für (erotische) Entsagungen. Die Rolle der Erdbeere in dem Jugendbrief wird Freud später der Kunst zuweisen. In seiner Kunsttheorie sieht Freud die Kunst als Symptom unerledigter Wünsche des Künstlers. Denn nach Freuds Ansicht verarbeitet der Künstler seine Konflikte, wobei er durch genau jene Kräfte angetrieben werde, die bei anderen Menschen Neurosen bewirken. Doch der Weg vom Künstler zum Neurotiker ist laut Freud nicht weit: „Er wird von überstarken Triebbedürfnissen gedrängt, möchte Ehre, Macht, Reichtum, Ruhm und die Liebe der Frauen erreichen; es fehlen ihm aber die Mittel, um diese Befriedigungen zu erreichen.“ Die Folge: Kunst wird zu einer Art der Triebbefriedigung, wobei der Künstler das Anstößige seiner Wünsche umformt und den Schönheitsregeln anpasst. Freuds Idee der Sublimierung von Ideen inspiriert viele Künstler/innen des 20. Jahrhunderts, insbesondere solche, die Trieb- und Traumgeschehen in die Kunst integrieren wollen. Doch Freud enttäuscht auch viele Künstler/innen, wie etwa Breton, der sich von der Begegnung mit Freud viel erwartet, jedoch einem Mediziner gegenüber sitzt, der die Kunst als Beschwichtigung, als Ersatzhandlung ansieht. Monica Bonvicini und Sam Durant beschäftigen sich in ihrer Gemeinschaftsarbeit „Cage“ mit dem Verhältnis von Architektur, Sprache und Körper. In einer Serie von Zeichnungen setzen sie sich mit dem künstlerischen Prozess auseinander. Was sind die Motive für ein ‚kreatives Gestalten’. Handelt es sich um einen diskursiven Prozess innerhalb eines kulturellen Feldes, um göttliche Eingebung, geniale Imagination, oder Sublimation subjektiver Sehnsüchte und Bedürfnisse? Architektur als Schnittstelle zwischen Außen und Innen, zwischen Natur- und Kulturraum dient als Folie für die Diskussion der künstlerischen Praxis. In einer dreiteiligen Siebdruckserie arbeitet Thomas Eggerer mit Fotocollagen. Wichtig erscheinen ihm dabei das Neben- und Übereinander unterschiedlicher Raumtiefen, bzw. die Möglichkeit, menschliche Figuren in verschiedenen sozialen Zusammenhängen zu platzieren. Stets wird die Rolle des Individuums im Verhältnis zur Gruppe befragt. Historische Fotodokumente bilden die Grundlage für neue Formulierungen, in denen Thomas Eggerer Erzählungen aus unterschiedlichen Kontexten ineinander greifen lässt. Matthias Herrmann setzt seinen eigenen Körper ein, um Körperbilder zu dechiffrieren, aber auch, um sie zu konstruieren. In seiner Toskana-Serie befragt er das Verhältnis von Landschaft und Körper indem er sich in unterschiedlichen Posen und Kostümen in die Szene setzt. Sexuell codierte Praktiken überlagern sich mit soziokulturellen und ikonographischen Verweisen. Das Gegensatzpaar von Natur und Kultur, wie es Freud formuliert hat, löst sich hier zugunsten eines Handlungs- und Gestaltungsraumes für Körperzuschreibungen auf. In San Fernando Valley, Kalifornien, aufgewachsen, beschäftigt sich Cameron Jamie mit subkulturellen Gegenwelten und rituellen Schattenreichen. Er sucht nach Mythischem und Magischem, in dem er Jugendliche beim halbstarken „Wrestling“ filmt oder selbst in der Verkleidung eines Vampirs durch die Nacht streift. Halloween aber auch die Krampusrituale im Gasteiner Tal finden sein Interesse. Lärmende Kinder und Monster im Schnee zeigt er in seinem Film „Kranky Klaus“. Sorglose Weltvergessenheit, Kameraderie, Idylle jenseits der Zivilisation. Die Bilder der amerikanischen Künstlerin Justine Kurland erwecken Vorstellungen von Intimität von Jugendlichen. Nacktheit, Unabhängigkeit und Abenteuer wie sie die Kunstgeschichte im Bildnis der ungezwungenen Badenden geprägt hat, aber auch Anklänge an Aussteiger und romantische Vorstellungen von Blumenkindern und markige Holzfällergenres bindet Kurland in ihren Fotografien zusammen. Aquarelle, Collagen oder Assemblagen sind Techniken, deren Kalin Lindena sich bedient, um ihre Erzählungen zu entwickeln. Songtitel, Liebesgeschichten, persönliche Gefühle oder Stimmungen – Kalin Lindena interessiert sich für dieses Amalgam von subjektiver und kollektiver Wahrnehmung. Mit der Betonung spezifischer Materialwirkungen von Seidenpapier, Glitter, Stoff oder Wasserfarbe geht es ihr um die Herausarbeitung von Spuren des Allgemeinen im Subjektiven und umgekehrt des Subjektiven im Allgemeinen. Ihre subjektiven Landschaftsbilder sind gleichsam allgemeine Stimmungsbilder und vice versa. Über die Gebirge und die Erdbeeren’ nennt Hans Schabus das Modell, das er für diese Ausstellung ausgewählt hat. Eine aufwändig mit dem Computer berechnete Gebirgsformation erhebt sich reliefartig aus einem an die Wand gelehnten Tafelbild. Das Gebirge gebiert sich aus einer gebauten Architektur. Oder erdrückt es dieselbe? Die unzähligen Kanten, Grate, Winkel und abgeschrägten Flächen ergeben ein scheinbar unendliches Formengewirr, das penibel nach dem Vorbild eines Stealth Bombers, der im Golfkrieg eingesetzt wurde, konstruiert wurde. Die spezifische Form verunmöglicht es den Bomber auf Radarschirmen wahrzunehmen. Hans Schabus entwirft mit seinen Zeichnungen, Modellen, Skulpturen, Installationen Situationen von großer Beklemmung. Hier is es nicht ein befreiendes und erhabenes oder ozeanisches Gefühl wie es Romain Rolland, ein Freund Sigmund Freuds ausgedrückt hat, das sich ausbreitet, wenn man einen Berg besteigt. Vielmehr ist es der immense Druck der Gesteinsmassen, die auf dem Individuum lasten. Pflanzen, die wenig Beachtung finden, die sich an der Peripherie, im Dickicht und auf schlechten Böden ansiedeln, bilden das Augenmerk des Künstlerpaares Lois & Franziska Weinberger. Die so genannten Ruderalpflanzen, die mit minderen Lebensbedingungen auskommen, sind für sie Stellvertreter menschlicher Sozialisation. Auch die Erdbeere, die Freud als Frucht und Verlockung interpretiert, ist eigentlich eine solche „niedere“, duldsame Pflanze. Gemeinsam ist vielen der ausgestellten Arbeiten die Befragung von künstlerischer Praxis im Verhältnis zum Naturraum. In Bezug auf Sigmund Freud, der die Natur nicht nur als Konterpart zur Kultur gesehen hat, sondern auch den ‚Rückzug in die Natur’, die ‚gewollte Vereinsamung’ als ‚Schutz gegen Leid’ oder die ‚Vermeidung von Unlust’ gesehen hat, begreifen die Künstler/innen dieser Ausstellung Natur als kulturellen und sozialen Faktor, die Imaginationskraft die sie imstande ist auszulösen, als Projektionsfläche großer Erzählungen. (Thomas Trummer und Eva Maria Stadler)