THE LYING BODY: ONLY THE FUTURES REVISIT THE PAST
Alexandra Anikina, Riccardo Benassi, Monia Ben Hamouda, Dorota Gawęda und
Eglė Kulbokaitė, Walter Niedermayr, Elizabeth A. Povinelli.
Eröffnung: 14. September, 19 Uhr
Kuratiert von Emanuele Guidi
Die Monarchen, die in den Süden fliegen, werden nicht nach Norden zurückkehren.
Jeder Aufbruch wird so zu etwas Endgültigem.
Nur ihre Nachkommen kehren heim;
nut die Zukunft besucht die Vergangenheit wieder.
Ocean Vuong, Auf Erden sind wir kurz grandios
Pier Paolo Pasolini drehte 1971 anlässlich seiner Verfilmung von Boccaccios Dekameron auch eine Beicht- und Sterbeszene in einer hölzernen Stube des 15. Jahrhunderts, die heute noch im Stadtmuseum Bozen verwahrt wird: Auf dem Sterbebett liegend, belügt ein Sünder seinen Beichtbruder und wird dank der Lüge daraufhin seliggesprochen und erfährt Verehrung.
Die nur wenige Schritte von der ar/ge kunst entfernt gedrehte Episode dient als Ausgangspunkt für die Ausstellung, um Fragen nach der Rolle von Museen und kulturellen Einrichtungen als Orten der Bewahrung und Weitergabe von Geschichte, als Räumen der Fiktion und Konstruktion von Erzählungen sowie als Schwellen zwischen Leben und Nicht-Leben zu stellen – Reliquienkammern vergleichbar, in denen einstmals lebendige Objekte, Körper und Rituale inzwischen eine Existenz als kostbare Erinnerungsstücke und als Behälter für künftige Wünsche führen.
Pasolini fand lobende Worte für das Stadtmuseum, denn dort sei „die Liebe zur Tradition eine Gnade“, und deutete es als einen Ort des Widerstands gegen neokapitalistische Kräfte und das Konsumdenken, womit er Boccaccios Kritik an den herrschenden Mächten erneuerte und auf seine Zeit übertrug. Darin eröffnet sich eine radikale Sichtweise von Geschichte als einem Ort des Konflikts, aber auch als nostalgische Sehnsucht nach einem verlorenen vormodernen Leben, das der Filmemacher auf problematische Weise auf die ländlichen Gebiete und ihre Bevölkerung sowie auf die zu ihrer Überlieferung bestimmten Museen projizierte; diesen Vorstellungen widersprach er wiederum in der Fiktion seiner Filme.
The Lying Body: Only the Futures Revisit the Past* folgt den vielfältigen Wegen, die die eingeladenen Künstler*innen in Reaktion auf die mit ihnen geteilte Geschichte vorgeschlagen haben. Oftmals von persönlichen Erinnerungen ausgehend, mobilisieren die in Ausstellung gezeigten Werke Geschichten, Traditionen und Wissen über den Körper in der Gegenwart. Anhand von ihnen zeichnen die Künstler*innen Genealogien nach und setzen entfernte Generationen in Beziehung zueinander. Sie stellen Kontinuitäten zwischen natürlichen und technologischen Landschaften her, um die Frage danach aufzuwerfen, wie – um mit der Anthropologin Elizabeth A. Povinelli zu sprechen – bestimmte vergangene und von unseren Vorfahr*innen übernommene Formen von Wissen neu verortet und in einer von Grund auf veränderten Umgebung mit Sinn erfüllt werden können. Darüber hinaus setzen sie sich mit der das Kapitalozän heute durchdringenden obsessiven Präsenz des Todes auseinander und exorzieren sie.
Mit besonderem Dank an Stadt Museum Bozen, Plattform Kulturerbe/Kulturproduktion und Bolzano Art Weeks 2022
Mit freundlicher Unterstützung von:
Pro Helvetia – Schweizer Kulturstiftung
Autonome Region Trentino – Südtirol
Autonome Provinz Bozen, Abteilung Kultur
Stiftung Südtiroler Sparkasse
Gemeinde Bozen, Abteilung Kultur