BAKROMAN – GIANLUCA E MASSIMILIANO DE SERIO
kuratiert von Luigi Fassi
Bakroman ist die erste Einzelausstellung von Gianluca und Massimiliano De Serio (geb. 1978 in Turin, leben und arbeiten ebenda) in einer italienischen Galerie. Die gezeigte Videoarbeit entstand 2010 während eines mehrwöchigen Aufenthalts der beiden Künstler in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos. Im Mittelpunkt der Arbeit standen dabei die Straßenkinder dieser Stadt, die Bakroman, wie sie auf Mòoré genannt werden. Als Waisenkinder oder von ihren Familien getrennt, wachsen sie in extremer Armut und unter schwierigsten Lebensbedingungen in den Straßen der Stadt auf. Sie sind auf sich allein gestellt und werden leicht Opfer von Gewalt, Vergewaltigungen und Aggressionen jeglicher Art, denn sie stehen am untersten Ende des ohnehin prekären Sozialsystems von Burkina Faso.
Die Bakroman besitzen keine Unterkunft und haben weder eine Schulbildung genossen noch eine Arbeit in Aussicht. Ihre Tage bestehen darin, auf der Suche nach Essen und Wasser durch die Straßen der Hauptstadt zu ziehen. Doch die primären Ressourcen des Lebens müssen mühsam erkämpft werden. Gerade diese grundlegenden Probleme, das Gefühl der Verlassenheit und die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, haben die älteren unter ihnen dazu veranlasst, eine Vereinigung zu gründen. Ziel der Vereinigung Ajer – Association des jeunes en situation de rue ist es, eine gewisse Ordnung in den Tagesablauf zu bringen, aber auch die Kommunikation zu fördern, einen Dialog zu entfachen und sich gegenseitig zu helfen. Durch tägliche Treffen und gemeinsam verfasste Regeln, wurde die Vereinigung zu einer Art spontaner Selbsthilfe, zu einer Plattform neuer Möglichkeiten und gegenseitiger Solidarität, um das tägliche Elend und die harten Bedingungen des Straßenlebens abzumildern.
Als filmische Explosion in Form einer Vielzahl an Projektionen und Bildschirmen, ist Bakroman eine hybride und vielschichtige Arbeit, in der sich die Bilder der Association des jeunes und ihrer internen Gruppen überlapppen und immer wieder mit den fließenden Dialogen und biographischen Bruchstücken aus dem Hier und Jetzt überschneiden. Die Vermittlung und der essentielle Filter der Filmkamera haben die Arbeit der beiden Künstler, die sich erst das Vertrauen der Straßenkinder erarbeiten mussten, nachhaltig verändert. Aus einer anfänglich distanzierten Herangehensweise wurde eine teilnehmende Beobachtung, die sich zunehmend von ihrem neutralen Standpunkt entfernte und zu einem Vertrauensverhältnis entwickelte, das die Distanz zwischen den Künstlern und den Bakroman mit der Zeit schwinden ließ.
So verweigert sich diese Arbeit der geschlossenen Form des Dokumentarfilms, die gleichsam einer Reportage auf kodifizierte und als folgerichtig eingestufte Erzählstränge aufbaut. Dagegen basiert Bakroman auf dem Versuch, eine vertrauensvolle Form der Gleichheit zwischen den Jugendlichen von Ouagadougou und den Filmemachern herzustellen, welche über die gleichzeitige Anwesenheit sowohl der einen als auch der anderen innerhalb eines geographisch und zeitlich limitierten Rahmens vermittelt und filmisch dokumentiert wird. Als tiefgreifende Analyse einer Gemeinschaft von „Unsichtbaren“, die in krassem Gegensatz zur Bankrotterklärung der bestehenden Gesellschaftsordnung steht, ist die Arbeit der Brüder De Serio zugleich eine beharrliche Untersuchung der ethischen Dimension des Dokumentarfilms, bezeugt sie doch die Entstehung einer kollektiven Identität im Gefolge einer prekären und diasporischen Erfahrung des Widerstands.