EVA KOT’ÁTKOVÁ – DICTATION
kuratiert von Luigi Fassi
Dictation ist die erste Einzelausstellung der tschechischen Künstlerin Eva Koťátková (1982, Prag) in Italien. Eine philosophische Recherche, die neben den jüngsten Arbeiten der Künstlerin auch neue, speziell für die Räumlichkeiten der ar/ge Kunst geschaffene Arbeiten präsentiert.
In einer Dialektik zwischen Erfahrung und Entwicklung, Norm und Bestrafung, konstruiert Koťátková performative Modelle der Gesellschaftsanalyse und erforscht mit diesem Instrumentarium die Ausprägungen des gesunden Menschenverstandes sowie den ideologischen Aufbau von Verhaltensweisen und individuellen Gewohnheiten. Dabei wird der Körper der Künstlerin selbst zu einem relevanten Teil dieser Strategie, denn sie lotet die sinnlich erfassbaren Grenzen unserer Gewohnheiten und festgelegten Ausdrucksformen aus, indem sie sie nach vollkommen neuen Koordinaten umgestaltet.
Eva Koťátkovás bevorzugter Ort der Auseinandersetzung ist die Kindheit und die Schule als Ort der Bildung und Erziehung – Paradigmen der gesellschaftlichen Integration und Kontrolle, deren Rituale und festverankerte Verhaltensmuster von Koťátková erforscht werden. In der Arbeit Sit straight with your arms behind your back (2008) unterstreichen einfache Holzstrukturen die verschiedenen Körperhaltungen der Kinder während der Schulstunden. Sie veranschaulichen darüber hinaus etliche Strategien sozialer Kontrolle, die von der Schule als Institution vermittelt werden. Das erzieherische Umfeld spielt auch eine zentrale Rolle in der Arbeit Dictate (2009), eine Audioinstallation, in der die Stimme eines Lehrers im Befehlston eine Reihe von Befehlen und Strafmaßnahmen diktiert. Diese entsprechen der normativen Atmosphäre jener Kontrolle, die von den Lehrkräften an die Schüler weitergegeben wird.
Die Arbeit ist räumlich performativ gegliedert, sodass die Besucher an einem Tisch Platz nehmen und das Strafdiktat über sich ergehen lassen können. Dabei erweist sich Dictate als offenes und nachvollziehbares Register – ein papiernes Archiv, das im Laufe der Ausstellung wachsen wird, weil in ihm die Einträge der Besucher aufgelistet werden, die dazu aufgefordert wurden, eine im Gedächtnis verborgene Praxis ihrer Schulzeit wiederzuerleben. Andere Arbeiten, wie Drawing Archives (2005-2009), inszenieren eine Art Archiv der Gedanken und Phantasien der Künstlerin, das sich zwischen Erinnerungen, Ängsten und gesellschaftsanalytischen Experimenten bewegt.
In einer geradezu obsessiven Aufzeichnung von Ereignissen, Erinnerungsmomenten und allgemein akzeptierten Mechanismen, demontiert Eva Koťátková Stück für Stück die Gewissheiten der individuellen und kollektiven Identität. Indem sie die gesellschaftlichen Normen und Modelle immer wieder in Frage stellt, unternimmt sie in letzter Instanz auch eine radikale Erforschung des Wesens der Freiheit und Willensfreiheit.