Alessandra Ferrini, Unruly Connections, installation detail, 2022.
Ausstellungen

UNRULY CONNECTIONS
ALESSANDRA FERRINI

14.5.2022—30.7.2022

Eröffnung am 13. Mai, 19 Uhr

Mit einem Gespräch zwischen der Künstlerin Alessandra Ferrini und dem Historiker Uoldelul Chelati Dirar

Kuratiert von Emanuele Guidi

Alessandra Ferrini befasst sich seit Langem schon mit dem italienischen Archiv der Kolonialität und untersucht vor allem Strategien der Verschleierung und Distanzierung von der italienischen Kolonialvergangenheit in Libyen.

Unruly Connections (widerständige Beziehungen) erkundet Praktiken des Widerstands gegen koloniale Gewalt und verknüpft drei Geschichten miteinander, die das „ikonografische Schweigen“ gegenüber der Unterdrückung von Widerstand im Libyen der späten 1920er-Jahre durchbrechen. Der von dem Historiker Alessandro Volterra eingeführte Begriff des „ikonografischen Schweigens“ verweist auf eine Direktive des Generals Rodolfo Graziani, die das Fotografieren und Verbreiten jeglicher Dokumentation über die brutale Unterdrückung der libyschen Bevölkerung durch italienische Hand, einschließlich des verbotenen Einsatzes chemischer Waffen sowie der Errichtung von Konzentrationslagern, untersagte. Alessandra Ferrini setzt Personen und literarische Werke, die sich auf unterschiedliche Weisen, zu verschiedenen Zeiten und Orten der Zensur dieses Völkermords widersetzt haben, in Beziehung zueinander.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht der Auftrag zur erstmaligen Übersetzung von Gebreyesus Hailus Kurzroman Der Rekrut ins Italienische. Der Roman wurde 1927verfasst, aufgrund der italienischen Zensur auf mündlichem Wege weitergegeben und erst 1950 veröffentlicht. Es handelt sich um den ersten Roman in tigrinischer Sprache und um eines der frühesten Beispiele antikolonialer Literatur, das nahezu unbekannt blieb, da Der Rekrut erst 2012 ins Englische übertragen wurde. Die von dem Historiker Uoldelul Chelati Dirar besorgte italienische Übersetzung wird in der Ausstellung in vier aufeinanderfolgenden Abschnitten vorgestellt und jeweils in Auszügen im Newsletter angekündigt: ar/ge kunst fungiert somit auch als Plattform der Übersetzung, der Lektüre, der Veröffentlichung und der Vertiefung.

In der Ausstellung selbst wird die Übersetzung von Der Rekrut verschränkt mit den Geschichten des dänischen Journalisten Knud Holmboe (1902–1931) sowie der Schriftstellerin, anarchistischen Aktivistin und Feministin Leda Rafanelli (1880–1971). Darüber hinaus setzt sich Unruly Connections mit der sogenannten „friedlichen Durchdringung“ auseinander, in der die Historikerin Roberta Pergher eine den italienischen Binnen- und Außenkolonialismus miteinander verbindende Praxis der Besiedlung insbesondere in Südtirol und Libyen erkennt. In spiegelbildlicher Weise werden Der Rekrut und die Ereignisse der in Südtirol angeordneten Zwangsrekrutierung zur Zeit der Besetzung Äthiopiens 1935/36 nebeneinandergestellt und lassen so die komplizierte Beziehung zwischen dem Prozess der Italianisierung sowie den „Rassenhierarchien“, die den europäischen Imperialismus kennzeichnen, anschaulich werden.

Anhand einer praxisorientierten Herangehensweise an die historiografische Untersuchung entwickelt Alessandra Ferrini eine Konstellation marginalisierter Charaktere und Geschichten, die Zusammenhänge zwischen den Randgebieten des italienischen Kolonialreichs zu erkennen geben. Der Akt der editorischen Bearbeitung ikonografischer ebenso wie textlicher Materialien in verschiedenen Medien und Sprachen, einschließlich der Stimme der Künstlerin selbst, die eine mögliche Lesart der Resonanzen zwischen diesen Geschichten vorschlägt, regt zum Nachdenken über militante Praktiken des Schreibens und Übersetzens, aber auch das ethisch-politische Potenzial künstlerischer Praxis an.

Mit der freundlichen Unterstützung von:
Autonome Provinz Bozen, Amt für Kultur
Stadtgemeinde Bozen, Amt für Kultur
Stiftung Südtiroler Sparkasse